Freie Lektorin begehrte Mitgliedschaft in der KSK
Die Klägerin nahm als examinierte Theologin eine selbstständige Tätigkeit als Lektorin, Übersetzerin und Autorin im wissenschaftlich/theologischen Umfeld auf und meldete sich bei der Beklagten als künstlersozialversicherungspflichtige Publizistin an. Die Beklagte lehnte die Feststellung von Künstlersozialversicherungspflicht der Klägerin ab. Das SG hob die Bescheide der Beklagten auf und stellte die Versicherungspflicht der Klägerin in der KSV fest. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg.
KSK: Übersetzung und Lektorierung wissenschaftlicher Texte keine publizistische Tätigkeit
Dagegen legte die Beklagte Revision ein. Die Tätigkeit von Publizisten müsse der von Schriftstellern oder Journalisten "ähnlich" sein. Bei der Übersetzung wissenschaftlicher Texte stehe die Kreativität des Übersetzers hinter der des Schöpfers des Werks deutlich zurück, da diese Texte keine vom Original abweichenden Neuformulierungen erlaubten. Auch bei der Lektoratstätigkeit sei eine eigenschöpferische sprachliche Gestaltung eines wissenschaftlichen Textes ausgeschlossen.
BSG: Kein Unterschied hinsichtlich eigenschöpferischen Gehalts
Das BSG hat die Revision zurückgewiesen. Der Lektorenberuf gehört regelmäßig zu den publizistischen Berufen im Sinne des KSVG. Ein genereller Ausschluss des Lektorats für wissenschaftliche Texte sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei im Hinblick auf den eigenschöpferischen Gehalt der Tätigkeit kein grundsätzlicher Unterschied zum stilistischen Lektorat erkennbar. Auch bei Übersetzungen sei eine Differenzierung zwischen belletristischer und wissenschaftlicher Literatur grundsätzlich nicht angezeigt. Übersetzungen von Literatur in diesem weitgefassten Sinn gehörten in der Regel und so auch hier zu den publizistischen Tätigkeiten.
Der Volltext des Urteils:
BundessozialgerichtUrteil vom 04.06.2019, B 3 KS 2/18 R
Leitsätze
1. Die Einordnung einer aus mehreren Arbeitsgebieten zusammengesetzten Tätigkeit (sog gemischte Tätigkeit) als künstlerische bzw publizistische Tätigkeit bemisst sich anhand des Gesamtbildes nach ihrem Schwerpunkt, der sich bei der erstmaligen Aufnahme der Tätigkeit unter Berücksichtigung des Berufsanfängerprivilegs regelmäßig nicht allein aus einzelnen, zuerst akquirierten Aufträgen erschließt.
2. Lektoren von wissenschaftlichen Texten sind regelmäßig Publizisten.
3. Übersetzer von wissenschaftlichen Texten werden publizistisch tätig, wenn sie nicht nur Tatsachen, Nachrichten oder Anleitungen ohne sprachlichen Gestaltungsspielraum wiedergeben.
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Klägerin in der Künstlersozialversicherung (KSV) ab September 2011.
Die Klägerin ist examinierte Theologin und studierte zusätzlich Ethnologie und Soziologie. Sie sammelte Berufserfahrung ua als Lektorin und Redakteurin bei einem Verlag sowie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrbeauftragte einer Universität, bevor sie ab 26.9.2011 ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit beendete. Für diese Tätigkeit erhielt sie einen monatlichen Gründungszuschuss von der Bundesagentur für Arbeit. Bei der beklagten Künstlersozialkasse (KSK) meldete sie die selbstständige Tätigkeit als Publizistin an und beantragte die Feststellung ihrer Versicherungspflicht in der KSV ab diesem Tag. Sie erklärte dazu, die Tätigkeit erstrecke sich auf die Bereiche Grafikdesign/Layout (etwa 5 %), Schriftstellerin (etwa 10 %), wissenschaftliche Autorin (etwa 10 %), Lektorat und Übersetzungen von Literatur (etwa 70 %) und Lektorat/Übersetzungen keine Literatur (bis zu 5 %).
Die Beklagte lehnte die Feststellung der Künstlersozialversicherungspflicht ab, weil es an der Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit gemäß § 1 Nr 1 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) fehle. Die Tätigkeit müsse auf die Erzielung von Einkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts gerichtet sein. Für das Jahr 2011 habe die Klägerin lediglich Einkünfte für die Tätigkeiten "Indexierung" sowie "redaktionelle Unterstützung und Korrekturlesen" nachgewiesen. Für das Jahr 2012 seien nur Einnahmen von 250 Euro für das Korrektorat und die Formatierung einer Masterarbeit belegt. Orthographische und grammatikalische Korrekturen seien ebenso wenig publizistische Tätigkeiten iS des KSVG wie Bearbeitungen von Promotions- oder Habilitationsschriften (Bescheid vom 14.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 13.8.2012).
Mit ihrer dagegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, aus der vorübergehenden, gesundheitsbedingten Auftragsflaute im Frühjahr 2012 könne nicht auf das Fehlen einer erwerbsmäßig ausgeübten Tätigkeit geschlossen werden. In den Jahren 2013 und 2014 habe sie wieder überwiegend Einnahmen aus Übersetzung, Lektorat und Korrektorat erzielt. Aufgrund ihrer akademischen Expertise und ihrer publizistischen Erfahrung habe sie sowohl bei ihren Übersetzungsarbeiten als auch bei ihren Lektoratsdienstleistungen einen weiten Gestaltungsspielraum, sodass diese Tätigkeiten einschließlich der Erstellung eines Sachregisters für ein Fachbuch publizistische Leistungen seien. Zudem sei sie als Autorin tätig und erwarte aus dieser Tätigkeit höhere Einnahmen.
Das SG hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin seit dem 26.9.2011 als Publizistin der Versicherungspflicht in der KSV unterliege. Lektoratsarbeiten gehörten zu den sog Katalogtätigkeiten des 1972 zum KSVG erstellten Autorenreports und daher grundsätzlich zu den publizistischen Tätigkeiten. Nach dem Urheberrecht stellten auch die von der Klägerin vor allem ab Mitte 2012 bzw Anfang 2013 übernommenen Übersetzungsaufträge und Übersetzungslektorate wegen des erforderlichen sprachlichen Einfühlungsvermögens und der stilistischen Fähigkeiten eigenschöpferische Leistungen und daher auch publizistische Tätigkeiten dar. Als Berufsanfängerin stünden die geringen Einkünfte der Klägerin ihrer Versicherungspflicht nach § 3 Abs 2 KSVG nicht entgegen. In den ersten acht Monaten in 2014 hätten die Einnahmen der Klägerin aus Lektoraten, Übersetzungen und Übersetzungslektoraten die aus reinen Korrekturarbeiten deutlich überwogen (SG Urteil vom 15.7.2015).
Mit ihrer dagegen gerichteten Berufung ist die Beklagte vor dem LSG erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Gesamtbild der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin werde durch publizistische Tätigkeiten geprägt, auch wenn die Drucksatz-/Layout- und reinen Korrekturarbeiten nicht dazu zählten. Die Klägerin habe aufgrund ihrer hohen akademischen Qualifikation bei den einzelnen Lektoratsarbeiten ihre persönliche Expertise einbringen können und "echte" Lektorate mit inhaltlicher Bedeutung vorgenommen. Auch dem Lektorat von Dissertationen oder Habilitationsschriften fehle nicht der notwendige Öffentlichkeitsbezug, denn diese Schriften seien zur Förderung des wissenschaftlichen Diskurses auf öffentliche Verbreitung angelegt. Eigenschöpferische Leistungen seien auch bei der Erstellung von Sachregistern sowie bei den von der Klägerin ausgeführten Übersetzungsarbeiten und -lektoraten gefordert. Aus diesen publizistischen und ihren schriftstellerischen Tätigkeiten erwirtschafte die Klägerin ihre überwiegenden Einkünfte. Die geringen Einnahmen im Jahr 2012 seien überwiegend Folge gesundheitsbedingter Einschränkungen gewesen. Der ernsthafte Wille der Klägerin, ihren Lebensunterhalt nicht nur unwesentlich durch ihre publizistische Tätigkeit zu bestreiten, sei von Beginn an nachvollziehbar gewesen - nicht zuletzt aufgrund des bei der Agentur für Arbeit vorgelegten Businessplans. Wegen des Berufsanfängerprivilegs sei die Klägerin in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit nicht versicherungsfrei gewesen und ab dem 26.9.2014 hätten ihre Einkünfte die Versicherungsfreigrenze von 3900 Euro jährlich deutlich überstiegen (Urteil des LSG vom 23.11.2017).
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, die eine Verletzung materiellen Rechts (§§ 1, 2 KSVG) rügt. Sie führt aus, Versicherungspflicht bestehe nur, wenn die künstlerische bzw publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig, dh zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz ausgeübt werde. Bei der Übersetzung wissenschaftlicher Texte stehe die Kreativität des Übersetzers hinter der des Schöpfers des Werks deutlich zurück, da diese Texte keine vom Original abweichenden Neuformulierungen durch den Sprachmittler erlaubten. Anders als Übersetzungen belletristischer Literatur seien Übersetzungen wissenschaftlicher Texte durch eine starke Rückbindung an den ausgangssprachlichen Text geprägt, sodass es wissenschaftlichen Übersetzungstätigkeiten an einer hinreichenden eigenschöpferischen Leistung mangele. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen und literarischen Texten sei erforderlich, damit nicht in jedem Einzelfall eine sprachwissenschaftliche Expertise zur eigenschöpferischen Leistung eingeholt werden müsse. Auch bei der Lektoratstätigkeit sei zwischen dem Wissenschaftsbereich und dem stilistischen Lektorat zu differenzieren. Aufgrund der vorgegebenen wissenschaftlichen Standards sei eine eigenschöpferische sprachliche Gestaltung eines wissenschaftlichen Textes ausgeschlossen und eine Leistung, die einer einfachen journalistischen oder schriftstellerischen Tätigkeit nahe komme, nicht erkennbar. Seit der Änderung von § 2 S 2 KSVG müsse die Tätigkeit von Publizisten der von Schriftstellern oder Journalisten "ähnlich" sein. Bei Prüfungsarbeiten einschließlich Dissertationen und Habilitationsschriften werde der er